URTEILE : Wessen Geschichte wird erzählt?

Als im November 2011 bekannt wurde, dass es sich bei den brutalen Morden an neun Kleinunternehmern in Deutschland um die Taten einer Neonazi Organisation handelt, reagierten Politik und Medien lautstark. Die Berichterstattung und der folgende Prozess erwuchsen zum Medienspektakel um die Täter*innen, während den Ermordeten und ihre Angehörigen wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Dabei sind sie es, deren Worte gehört werden müssen. Sie sind dem Misstrauen, den verunglimpfenden und einseitigen Ermittlungen, der systematischen Gewalt und dem alltäglichen Rassismus in Deutschland gegenübergetreten. Es ist ihr Blick auf die Morde des NSU, der uns die Augen öffnen kann und uns die hiesige Gesellschaftsstruktur grundsätzlich hinterfragen lässt. Nicht nur in München, sondern Überall — nicht nur solange ein Gerichtsverfahren läuft, sondern bis der gesamte NSU Komplex aufgelöst ist.



Im Dezember 2018 interpretiert der Theaterverein Stanza dieses Werk in einem Theaterexperiment im temporären Kulturraum „Oststern“ in Frankfurt. Warum? Seit langer Zeit ist es still geworden um die NSU Morde. In einem pompösen Prozess, sind nun ein paar Urteile gesprochen worden. Der Eindruck entsteht, man habe nun Gerechtigkeit walten lassen und nun könne man einfach wieder nach vorne schauen. Aber das sehen nicht alle so. Initiativen wie Kein Schlussstrich und viele Unterstützer*innen kämpfen weiterhin gegen die zu Grunde liegenden Strukturen und wollen dafür sorgen, dass die Opfer des NSU nicht vergessen werden. Eine Möglichkeit des Erinnerns und der Aufrechterhaltung des wichtigen Diskurses ist es, eine Bühne, einen Raum zu geben und mit dem Material sensibel umzugehen. Daher haben wir uns entschieden eine Hörstück-Performance daraus zu entwickeln und freuen uns auf spannende und anregende Theaterabende mit euch.

Azar Mortazavi, Tunay Önder und Christine Umpfenbach führten Gespräche mit Angehörigen, Freund*innen und Kolleg*innen der Münchner Mordopfer Habil Kiliç und Theodoros Boulgarides, aber auch mit Beteiligten aus Presse und Politik zu einem Theatertext zusammen. Neben den Mitschriften der Interviews, beinhaltet der Text poetische Segmente, die Hand in Hand mit den Worten der Angehörigen etwas erstaunliches zu Bewirken versuchen: Sie erzählen eine Geschichte, die uns alle betrifft und etwas angeht, selbst wenn sich das nicht jede*r bewusst macht. Im April 2014 wurde Urteile im Residenztheater München erstmalig auf die Bühne gebracht.

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Weitere Informationen zur ursprünglichen Inszenierung der Autorinnen und ein Interview mit Regisseurin Christine Umpfenbach:

https://www.residenztheater.de

https://www.nachtkritik.de

https://www.merkur.de